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3 Leitlinien des kontextorientierten Physikunterrichts [10]

 
  Es gibt vier Konzepte naturwissenschaftlicher Bildung, Leitlinien genannt, die gemeinsam die überfachlichen Richtziele eines kontextorientierten Physikunterrichts bilden. Zusammen sind sie der Orientierungsrahmen, der für den Aufbau des Orientierungswissens notwendig ist. Die vier Ziele sind an ein Grundsatzpapier des niedersächsischen Kultusministeriums angelehnt und, wie er selbst betont, keine Neuerfindung von Muckenfuß.

Da die Grundidee vom 'Lernen im sinnstiftenden Kontext' eine Umorientierung der Gewichtung der Ziele des Physikunterrichts ist, kommt den Zielen und ihren Beziehungen eine große Bedeutung zu.

Die Reihenfolge der folgenden Beschreibungen der Konzepte verfolgt eine Linie vom Verfügungswissen zum Orientierungswissen und richtet sich nicht nach der Reihenfolge bei Muckenfuß. Das Zusammenwirken und die Abhängigkeiten der Konzepte werden in 3.5 Beziehungen zwischen den Zielen beschrieben.

 
     
 

3.1 Wissenschaftsverständigkeit

 
  Die Fundamente einer zeitgemäßen (physikalischen) Welt- und Natursicht sind erkenntnistheoretisch und methodologisch zu verdeutlichen: zentrale Begriffe, grundlegende Konzepte, Theorien und Modelle. Außerdem ist der Aspektcharakter der Physik transparent zu machen, also das Tranzendieren der phänomenologisch gegebenen Wirklichkeit in der physikalischen Betrachtung [11].

Für dieses Ziel ist eine fachsystematische Fundierung des Physikunterrichts notwendig. Es betrifft weitgehend das Verfügungswissen.

 
     
 

3.2 Nutzungsfähigkeit

 
  Physikalisches Wissen soll in zweifacher Hinsicht genutzt werden können.

Zum einen beinhaltet die Nutzung Aspekte des Verfügungswissens. Es soll ein differenziertes Sachwissen, ein rational aufgeklärtes Verhältnis zu Wissenschaft, Natur und Technik und die Fähigkeit zur Bewältigung alltagspraktischer Anforderungen erworben werden.

Andererseits sollen die Schüler ihr physikalisches Wissen nutzen können, um sich in der Welt zurechtzufinden, um sich zu orientieren. Dies geschieht, indem der Physikunterricht für die Wahrnehmung der Natur sensibilisiert und eine emotionale Beziehung zum Naturphänomen fördert.

 
     
 

3.3 Verantwortlichkeit

 
  Unter Verantwortlichkeit ist das Ziel zu verstehen, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit zu erlangen.

Es geht um die Urteilsfähigkeit in bezug auf die globalen Herausforderungen der Menschheit, wie z.B. die Störung der ökologischen und ökonomischen Kreisläufe, die Bevölkerungsentwicklung, die militärischen Zerstörungspotentiale, u.s.w.

Da Lösungen im wesentlichen mit Hilfe von Naturwissenschaften und Technik zu erwarten sind, geht es hier um die Verantwortbarkeit und die globale Verträglichkeit von naturwissenschaftlichen und technischen Entwicklungen. Durch die Beurteilung und Entscheidungsfindung positioniert sich der Schüler in bezug auf den jeweiligen Aspekt. Er orientiert sich in der Welt.

 
     
 

3.4 Kommunikationsfähigkeit

 
  Naturwissenschaftlicher Unterricht hat die Aufgabe, die Sprachkompetenz zu entwickeln, die heute zur Teilhabe an Entscheidungsprozessen in einer demokratisch verfaßten Gesellschaft erforderlich ist.

Hierfür ist zunächst die Kenntnis der naturwissenschaftlichen Formulierungen notwendig. Eine noch größere Bedeutung hat allerdings die Übersetzung der wissenschaftlichen Probleme in die Alltagssprache, da sonst keine Kommunikation bzw. Diskussion stattfinden kann.

 
     
 

3.5 Beziehungen zwischen den Zielen (Orientierungsrahmen)

 
 
Die Ziele (=Leitlinien) stehen nicht isoliert nebeneinander, sondern fundieren, bedingen und ergänzen sich wechselseitig.

Eine hinreichende Wissenschaftsverständigkeit ist die Grundlage für alle Ziele, eine verantwortbare Nutzung (=Nutzungsfähigkeit) ist ohne eine hinreichende Verantwortlichkeit nicht möglich und die Kommunikationsfähigkeit hat eine Sonderstellung, da es für die meisten Schüler das wichtigste Ziel ist, 'mitreden' zu können.

Muckenfuß visualisiert diese Beziehungen zwischen den Zielen mittels des nebenstehenden 'Gebäudes'. Das Fundament wird von der Wissenschaftsverständigkeit gebildet. Auf ihm ruhen die Verantwortlichkeit und die Nutzbarkeit. Vor dem Zerfall bewahrt - und damit funktionsfähig gehalten - wird das Gebäude durch das von der Kommunikationsfähigkeit gebildete Dach.

aus L.i.s.K., Abb. 19, S. 219

Muckenfuß verschweigt nicht, daß diese Metapher die gegenseitige Durchdringung der Ziele nur unzulänglich ausdrückt, ja in gewissem Sinne sogar dem 'Lernen im sinnstiftenden Kontext' diametral entgegengesetzt ist, da ein Gebäude von unten nach oben aufgebaut wird, der Orientierungsrahmen jedoch nicht.

So fundiert bereits die Wissenschaftsverständigkeit selbst die Kommunikationsfähigkeit, die Verantwortlichkeit kann nur aus einer hinreichenden Nutzungsfähigkeit entstehen, und beide bedürfen einer hinreichenden Kommunikationsfähigkeit, um überhaupt zu entstehen.

Der Inhalt von kontextorientiertem Physikunterricht, dargestellt in den Rahmenkontexten, orientiert sich an diesem Orientierungsrahmen. Ein Kontext muß allen vier Leitlinien genügen, um sinnstiftendes Lernen zu ermöglichen. Somit kann man nicht unreflektiert jedes Thema zu einem Kontext machen.

 
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