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Die theoretischen Überlegungen von Muckenfuß zum
'Lernen im sinnstiftenden Kontext' wirken konsistent und
überzeugend, und zwar sowohl der empirische Ansatz als
auch die Folgerungen daraus, seine Trennung von
Verfügungs- und Orientierungswissen, der
Orientierungsrahmen, die Rahmenkontexte und insbesondere
seine Anmerkungen zu den physikalischen Experimenten. Durch
die Idee der sinnstiftenden Kontexte kann der Schüler
die Physik mit seiner Alltagswirklichkeit besser
verknüpfen als beim herkömmlichen Unterricht, bei dem
die abstrakte Physik für sich isoliert im Mittelpunkt
steht.
Die Beschäftigung mit einem über einen längeren
Zeitraum gleichbleibenden Grundthema führt zu einer
besseren Verankerung der physikalischen Inhalte mit der
Lebenswirklichkeit der Schüler.
Die Betonung des Orientierungswissens ist ein Ansatz,
der dem Unterricht von vielen erfolgreichen Lehrern eine
theoretische Grundlage gibt.
Es ist jedoch kritisch, ob das 'Lernen im
sinnstiftenden Kontext' eine flächendeckende
Veränderung des Physikunterrichts erwirken wird.
Schwierigkeiten bereitet das Lernen in Kontexten durch
die fehlende Erfahrung der Lehrenden selbst. Die Lehrer
werden allein gelassen:
- An den Universitäten wird ausschließlich
fachsystematisch gelehrt, Kontexte gibt es dort
nicht im Lehrstoff. Daher fördert die Ausbildung
bis zum ersten Staatsexamen die
Kontextorientierung nicht.
- Die Analyse von historischen und philosophischen
Texten (z.B. für den Kontext
'Erkenntnistheorie') wird in der Ausbildung zum
Physiklehrer genausowenig behandelt wie
Sportphysiologie oder andere Wissensgrundlagen
für die verschiedenen Kontexte.
- Es fehlen kontextorientierte Lehrbücher. In den
gängigen Schulbüchern wird der Kontext
bestenfalls sporadisch angesprochen (z.B.
Infoboxen). Entsprechende Schulbücher sind
jedoch eine notwendige Voraussetzung für eine
erfolgreiche Umsetzung des Lernens im
sinnstiftenden Kontext.
- Es werden zwar Leitlinien und Rahmenkontexte
definiert. Aber es fehlen präzise Beschreibungen
der Durchführung, der Einstiege, der
Impulsfragen,..., ebenso wie Hinweise, wie
elementare Ergebnisse aus den komplexen Problemen
aus der Alltagserfahrung herausgearbeitet werden
sollen.
- Die Experimentiergeräte in den Sammlungen der
Schulen sind nach wie vor idealisiert und mit nur
geringem Bezug zur Alltagserfahrung der Schüler.
Weitere Schwierigkeiten sehe ich in der Auswahl der
Themen:
- Bei der Auswahl der Themen innerhalb eines
Kontextes kann es zu einem Widerspruch kommen
zwischen den Inhalten, die die Schüler
interessieren, und der von der Fachsystematik
motivierten Auswahl durch den Lehrer.
- Es fehlen Untersuchungen und Erfahrungen zu
vielen Kontexten in der Sekundarstufe II,
insbesondere im Hinblick auf das Erreichen der
Leitlinien (vgl. Kap.3). Muckenfuß beschäftigt
sich im Buch L.i.s.K. ausschließlich mit
Unterricht in der Sekundarstufe I. Somit sind die
zum Beispiel in den Richtlinien vorgeschlagenen
Kontexte noch nicht ausgereift und auf ihre
Verwendbarkeit geprüft. Der Sport ist zum
Beispiel ein Kontext, der zwar den schiefen Wurf
als Behandlung nahelegt, aber die mit ihm
verbundenen mathematischen Schwierigkeiten für
die Schüler, die auftreten, wenn für die
Realität relevante Konsequenzen für den Sport
gezogen werden sollen, sind recht groß.
Es gibt Unterschiede zwischen den Kontexten von
Muckenfuß und den Kontexten der Richtlinien:
- Im Gegensatz zu Muckenfuß ist im Lehrplan die
Reihenfolge der Rahmenkontexte offen. Durch eine
unreflekierte Aneinanderreihung der Kontexte kann
die Wissenschaftsverständigkeit gefährdet
werden. So könnten die Kontexte zu 'trojanischen
Pferden' entarten. Die variable Verteilung der
Kontexte auf die Jahrgangsstufen macht außerdem
einen Schulwechsel oder die Wiederholung einer
Klasse schwieriger.
- Statt "Lernen im sinnstiftenden
Kontext" wie bei Muckenfuß geht es im
Lehrplan um "Lernen im Kontext". Bei
Muckenfuß ist die "Sinnstiftung"
jedoch zentrales Anliegen, da gerade die
Sinnentleerung verringert werden soll.
Um dem Orientierungswissen mehr Gewicht zu geben, ist
ein Umdenken in der Leistungsbewertung nötig, da diese
bisher auf Verfügungswissen ausgerichtet ist. Sonst wird
das Orientierungswissen aus Zeitmangel in den Hintergrund
gedrängt und es tritt keine Veränderung ein.
Fazit
- Das Unterrichten in sinnstiftenden Kontexten ist
nicht wahllos möglich, es ist vielmehr eine
genaue Zuordnung von Inhalten, Alltagsproblemen
und Kontexten erforderlich. Die Rahmenkontexte in
den Richtlinien sind dafür ein erster
Anhaltspunkt, sie genügen jedoch nicht. Es
bleiben die Fragen: Wie macht man es und wie
lehrt man es?
- Bei der Übertragung der Kontextorientierung von
Muckenfuß auf den Lehrplan 'Physik' wurden
einige wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt.
- Es ist noch viel Arbeit erforderlich, um einer sinnstiftenden
Kontextorientierung des Physikunterrichts einen
fruchtbaren Boden zu bereiten.
- Nach einigen Jahren Kontextorientierung im
Physikunterricht wird interessant sein, ob sich
bei neuen statistischen Erhebungen eine
Verbesserung zeigen wird.
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